Fachbeitrag von Steffen K. (Orchestermusiker/Klarinette/Saxophon)
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Es kommt nicht oft vor, dass ich die Bühne gegen die Sitzreihen in einem Konzertsaal tausche und mich unter das Publikum mische. Ergibt sich aber die Möglichkeit, einem der letzten Klarinetten-Größen, die unter Karajan jahrzehntelang gedient haben, bei einem Konzertnachmittag einen Besuch abzustatten, ist es für mich hier nahezu unmöglich, nein zu sagen. So geschehen am 10. Oktober 2021 auf Schloss Ribbeck in der Nähe von Berlin.
Für die meisten ambitionierten Klarinettisten gilt der Name „Karl Leister“ immer noch als ein Synonym für deutsche Klarinettenkultur in höchster Perfektion. Im Gegensatz zu anderen Berufsmusikern, die mit dem Eintritt ins Rentenalter ihr Instrument für immer und ewig in die Ecke stellten, beweist Karl Leister als Vollblutmusiker, dass es auch anders geht, und dies alles mit unfassbaren 84 Jahren! Allein schon die Tatsache, sich im hohen Alter aus Liebe zur Musik und zu seinem Publikum immer noch auf die Bühne zu stellen, gebührt ihm größtem Respekt und Hochachtung.
Karl Leister wurde 1937 in Wilhelmshaven geboren, sein Vater war Bassklarinettist beim Rias-Symphonieorchester und er zeigte seinem Sohn die ersten musikalischen Schritte auf der Klarinette. Diese prägende Zeit schuf die Grundlagen für seine spätere Karriere. Karl Leister kann auf eine Musiker-Laufbahn zurückblicken, die ihresgleichen sucht. 34 Jahre lang (von 1959 bis 1993), war er Solo-Klarinettist bei den Berliner Philharmonikern – und 30 Jahre lang „Karajans Klarinettist“. Kenner wissen, dass Karajan erbarmungslos 120 % von seinen Musikern forderte und meistens noch mehr. Nach oben gab es keine Grenzen, was schlussendlich auch den Erfolg der Berliner Philharmoniker begründete. Über Karajan, seinen „Vater in der Musik“, könnte Karl Leister ellenlange Geschichten erzählen. Etwa, dass sich der Stardirigent öfters John-Wayne-Videos ins Hotel Kempinski schicken ließ. Er liebte diese Art von Western-Heldentum.
Die Leister-Aura, einer Musiker-Seele par excellence, war auch wieder auf Schloss Ribbeck zu spüren. Gezeichnet vom Alter, konnte man trotzdem bei jedem Musikstück immer wieder das Aufflammen der musikalischen Leidenschaft Leisters spüren, welche dem dankbaren Publikum einen unvergesslichen herbstlichen Musik-Nachmittag bescherte.
Gespielt wurden u. a. Nielsen (Fantasie in g-moll), Schubert (Der Neugierige, Wohin, Ave Maria, Ständchen), Beethoven (Adelaide), Strauss (Romanze), Mendelssohn (Hirtengesang), Rossini (Fantasie in Es-Dur); die liebevoll ausgewählten Stücke spiegelten eine kleine musikalische Reise, vom kühlen Dänemark bis zum sonnenverwöhnten Italien wieder. Der talentierte Pianist Viller Valbonesi begleitete den Meister der Klarinette in überaus behutsamer und sehr einfühlsamer Form. In den kleinen eingefügten Pausen begeisterte Valbonesi das Publikum mit grandiosen Klavier-Solos wie Schumann (Romanze op 28 Nr. 2), Brahms (Intermezzo op 117 Nr. 1), Beethoven (Bagatella op 126 Nr. 4).
Besonders die letzten Stücke zauberten beim einen oder anderen eine Träne in die Augen und auch beim Meister selbst. Es klang alles wie Abschied eines großen Klarinettisten von Weltruf.