Artikulation bedeutet die Gliederung der einzelnen Töne innerhalb einer Phrase. Man unterscheidet hier zwischen Bindung und Trennung. Neben der Bindung gibt es vor allem drei Hauptarten des Anstoßes. Hier wird zwischen „Non legato“, „Portato“ sowie „Staccato“ unterschieden. 1. Non legato= (italienisch nicht verbunden); Es klingt wie Legato (binden), jedoch werden die einzelnen Töne deutlicher hervorgehoben, da zwischen ihnen winzige Pausen eingelegt werden. 2. Portato= (italienisch getragen); Hier werden die Töne deutlich voneinander getrennt, jedoch anders als beim Staccato nur minimal unterbrochen. 3. Staccato= (italienisch abstoßen, abgetrennt); Der Ton wird kürzer gespielt als es der Notenwert vorschreibt.
Diese drei Stoßarten erzielt der Klarinettist durch eine unterschiedliche Bewegung und Haltung der Zunge, die eng mit dem vom Zwerchfell gesteuerten Luftband verbunden ist. Zu beachten ist hier, dass der Ton erst erklingen kann, wenn mit der Artikulation der Silbe „tö“ die Zungenspitze vom Mundstück zurückgezogen und damit dem Luftstrom der Weg ins Instrument freigegeben wird. Zungenstoß bedeutet hierbei keinen Stoß, sondern vielmehr ein sehr schnelles Zurückziehen der Zunge vom Blatt bzw. der Mundstückspitze. Die Silben „tö“ und „dö“ gehören dabei fundamental zur Tonerzeugung. Sie geben dem Ton Profil, Klangfarbe und Bestimmtheit. Zu beachten ist hier, dass vor allem auch bei schnellen Passagen der Weg der Zungenspitze zum Mundstück so kurz als möglich sein sollte.
Wichtig: Bei den unterschiedlichen Artikulationsarten darf die Zunge nicht nach oben gewölbt werden, da sonst das optimale Strömen der Atemluft nicht gewährleistet wird. Mit anderen Worten, eine nach oben gewölbte Zunge verkleinert den Mundraum und behindert somit das Strömen der Luft!
Das professionelle Erlernen und die Ausführung der Zungenartikulation ist erst dann möglich, nachdem man die Kontrolle über den Beginn und das Ende des Tons, sowie den Ein- und Ausschwingvorgang des Klangs durch die Anpassung des Luftstroms beherrscht. Nur mit der richtigen Atemtechnik ist es möglich, die Artikulation zu perfektionieren. Hier ist es vor allem wichtig, das Strömen der Luft und das bewusste Steuern des Tons beim Ausatmen (während man gleichzeitig die optimale Positionierung und Stellung der Zunge für ein bestmögliches Klangresultat findet und beibehält), zu trainieren.
Auch eine Artikulation ohne die Beteiligung der Zunge ist möglich und auch wünschenswert. Dies erfordert jedoch eine sehr kontrollierte Führung des Luftstroms, ermöglicht aber gleichzeitig ein weicheres Einschwingen des Tones. Die Artikulation wird hier quasi über die Atmung gesteuert. Besonders beim „Non legato“ und „Portato“ kann dies zu einer Verbesserung des Klanges und der Artikulation führen. Vor allem bei langsameren Passagen ist dies eine wunderbare Alternative zur reinen Zungenartikulation. Auch hier gilt, dass eine nach oben gewölbte Zunge unbedingt vermieden werden muss, da sie die Luftströmung behindert.
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Streiflichter zur Entwicklung der modernen deutschen Klarinette und den führenden Solisten vor dem Ersten Weltkrieg und der Epoche zwischen den Kriegen.
Der grundlegende Schritt in die Moderne im europäischen Holzblasinstrumentenbau, stellt der „Ringklappen-Mechanismus“ des Flötenbauers Theobald Boehm dar. Selbiger ermöglicht, das Vergrößern/Verkleinern eines Tonlochs durch eine sich automatisch öffnende/schließende Resonanzklappe. Nur die Klarinette, reagierte klanglich positiv auf das Übertragen der Flötenmechanik Boehms. So wurde um 1844 in Frankreich bei Buffet-Crampon, in Zusammenarbeit mit Hyazinthe Glose „la premiere clarinete moderne“ entwickelt, die bis heute in den Grundzügen unverändert ist. Die Baermann-Ottensteiner Klarinette München, könnte man eine Paraphrase dazu mit viel Eigenständigkeit nennen.
Der Klarinettist und spätere Klarinettenbauer Oskar Oehler:
Der aus dem Vogtland stammende Oskar Oehler, war in jungen Jahren Soloklarinettist in verschiedenen Orchestern, zum Beispiel an der Oper im mondänen Nizza, Cote d’Azur. Später dann war er Gründungsmitglied der Berliner Philharmoniker.
In der aktivsten Phase Oehlers als Orchestermusiker, war die Baermann-Ottensteiner, die meistgespielte deutsche Bauweise. Während dieser Zeit, war der transparente Klang des etwa 50 Musiker umfassenden Hoforchesters in Meiningen, unter Hans von Bülow, der Inbegriff an Qualität (Max Reger sehnte sich danach dieses Orchester zu dirigieren). Johannes Brahms, hörte hier erstmals die Soli in seinen Sinfonien von Richard Mühlfeld gespielt, für den er später seine Klarinetten-Kammermusik schrieb.
Es ist nicht überliefert, aber vieles spricht dafür, dass Oehler bei der denkwürdigen Erstaufführung des Klarinetten-Quintettes vor großem Publikum, in Berlin, mit Mühlfeld und dem Joachim-Quartett anwesend war. Leider habe ich bei meinen beiden Besuchen bei Heinrich Geuser in Bayreuth nicht daran gedacht, ihn zu fragen, ob er sich an die Äußerungen Oehlers, zu Mühlfelds Interpretation, erinnern könne. Aus einer englischen Besprechung, einer Aufführung in London konnte ich entnehmen, Mühlfeld blies mit sprühender Intensität stellenweise mit Vibrato (er begann ja die Musikerlaufbahn als Geiger).
Um die Jahrhundertwende erschien ein Aufsehen erregender neuer Stern am „Dirigentenhimmel“, Arthur Nikisch. Der später als legendär, gefeierte neue Mann am Dirigentenpult der Berliner Philharmoniker, verdankte diesen Ruf vor allem der Gegensatzbildung zu Hans von Bülow, durch die drastische Vergrößerung des Streichkörpers. Der neuartige Orchesterklang war voluminös, durch nunmehr mindestens 80 Musiker auf der Bühne. Daraus ergaben sich auch Konsequenzen für die Bläsersoli, die in dem nun auch größeren Konzertsaal, mit intensiverer Projektion vorzutragen waren.
Dem erfahrenen Klarinettisten Oehler, schlug sozusagen die Stunde, er hatte sein Thema als Klarinettenbauer gefunden; Klang-Optimierung.
In der Anfangsphase wählte er die Befragung als Strategie. Er suchte in München Carl Baermann auf, den Sohn des Inspirators und Solisten der Weber-Kompositionen. Der gleiche Beweggrund führte ihn auch mehrfach nach Kassel. Dort leitete seit Jahren der in ganz Europa berühmte Violinen-Rivale Paganinis, mit dem „großen Ton“ und Komponist, Louis Spohr die Oper.
Die für Hermstedt komponierten 4 Konzerte, machten ihn zum ausgezeichneten Kenner der Klarinette. Für das Orchester engagierte er die Besten seiner Zeit. Kassel war sozusagen die Hochburg der Klarinettenkultur. Der Klarinettist Friedrich August Neff (Hofkapelle Kassel), war geschätzt für die Fertigung von Mundstückbahnen. Seine „Schienen“ werden heute noch bei Mollenhauer aufbewahrt. Neff war in der Anfangszeit Oehlers wichtigster Berater.
Ein entscheidender Einwand Oehlers gegen die Baermann-Ottensteiner, betraf das Mundstück. Er war überzeugt, dass ein größeres Volumen der Bohrung und der Kammer im Schnabelbereich, den Klang freier und tragfähiger machen würde. Das erwies sich als zutreffend. Zu Lebzeiten Oehlers war die Oper „Der Freischütz“ von C. M. v. Weber immer noch ein besonderes Aufführungsereignis. Die tiefen, schwarzen Töne, der beiden Klarinetten in der Wolfsschluchtszene hatten „Gänsehautmagie“ beim Publikum.
Richard Wagner, der von sich sagte, dass Weber ihm den Weg gewiesen habe, nutzte die Ausdruckskraft tiefer Klarinettentöne unter anderem im „Pilgerchor“. Der Anfang der 5. Sinfonie von Tschaikovsky, ist ein ganz besonderes Beispiel. So ist es nur zu verständlich, dass Oehler die Klangfarbe der tiefen Töne besonders am Herzen lag, gefolgt von der Sopranlage des 2. Registers. Zur technischen Übersetzung der Idee verringerte er im Unterstück, die bis dahin übliche Länge und Größe der konischen Erweiterung, der Bohrung am Übergang in den Schallbecher. Er wusste natürlich, dass dadurch im hohen Register der Widerstand und in der Folge die Helligkeit des Klangs zunimmt, insbesondere im Tonraum gis’’’ bis c’’’’.
Da zu seiner Zeit das „gängige“ Repertoire der Sinfonie- u. Opernorchester von den Klarinettisten, diese fünf Halbtöne selten forderte, da ja Domäne der Querflöten, nahm er das in Kauf. Oehler attestierte Kautschuk-Mundstücken Bahnstabilität, zog aber das lebendige Holz des Klanges wegen vor.
Eine Neuerung durch Oehler ist der Abschied vom Buchsbaumholz der Baermann-Ottensteiner Ära, zu Gunsten des Klanges und der größeren Rissfestigkeit des exotischen Grenadill, aus den Bergregionen von Mozambique in Afrika.
Überliefert ist es nicht, aber es liegt nahe, dass er über das Holzkontor für Grenadill auch auf das kubanische Cocosholz aufmerksam wurde. Die Klangqualität der Mundstücke aus diesem Holz, stellte alles Bisherige in den Schatten; das „Traummundstück“ eines jeden Klarinettisten war geboren, der Ruf Oehlers deutlich gestiegen, man „riss“ sich um ihn. Die magische Aura dieser Mundstücke ist heute noch lebendig.
Ohne Zweifel, ist Oehler entscheidend für das recht plötzliche Erblühen einer begeisternden Klangpoesie der Klarinette. Auf Tonträgern erhaltene Dokumente des typischen Oehler-Klanges: Alfred Bürckner, Berliner Philharmoniker unter Wilhelm Furtwängler, Franz Schubert Oktett, Simon Bellison, New York Philharmonie unter Bruno Walter, Brahms, Mahler, Luigi Amodio (auf Oehler-Klang spezifizierte Boehm-Klarinette), Mozart-Quintett und Beethoven, Trio op. 11 „Gassenhauer“.
Ein Dresdener Musikliebhaber, zeigte mir die Besprechung zu einer Aufführung des Reger-Quintetts mit dem Strub-Quartett, die Amodios Klang in den Rang einer „Engelsstimme“ erhob. Als Besonderheit sei hier anzumerken, dass Luigi Amodio zwar selbst nie Oehler spielte, sondern Boehm-System. In Italien erschien damals ein neu entwickeltes Mundstück aus Kristallglas, eine Idee von Cosimo Pomarico, der damit die Solostelle am Teatro Colon in Buenos Aires gewann. Der dunkeltönige Klang, dem deutschen sehr ähnlich, faszinierte also auch den jungen Amodio, Solist de la Scala Milano. Wie es zur Verbindung von Amodio und dem damals international auftretenden Strub Quartett kam, ist mir im Detail nicht bekannt. Naheliegend scheint mir durchaus, dass sich so bekannte Solisten begegneten, sich sympathisch waren und die berühmten Quintette spielen wollten. Das enorm farbenreich-meditative Piano, im Kontrast zur glasklaren, zupackenden Virtuosität, z. B. Brahms f-Moll Sonate, hebt diesen Interpreten in die Zeitlosigkeit. Die noch vorhandenen Kritiken der Kammermusik-Abende sind bewegende Dokumente einer leider nur kurz bemessenen Zeit durch den frühen Tod Amodios mit 40 Jahren.
Bemerkungen zur Bauweise, basierend auf dem Oehler-Satz von Alfred Bürckner, dessen Besitzer ich für einige Jahre war. Diese Instrumente, natürlich mit Deckelmechanik, die die beiden b/f’- Griffe zu Klappengriffen macht, gespielt mit einem Cocosmundstück mit authentischer erster Bahn, sind ein erstaunliches Spiegelbild der Persönlichkeit Oehlers. Es zeigt sich eine patriarchalische Aura. Bis ins Detail hatte er eine klangliche „Leitlinie“ eingebaut, das Mundstück eingeschlossen. Dieses darf nur sehr wenig in den Mund genommen werden, damit der Ansatz auf die Blattspitze zentriert bleibt. Die authentische erste Bahn hat in der Auflage einen leichten Hohlschliff über die Länge, die Mulde ist flach. Die Bahnkurve ist vorwiegend eng; erst im Bereich der Spitze kippt die Kurve und erzeugt eine starke Öffnung.
Ich hatte das Glück, ein ungespieltes Cocos in auffallend rötlicher Tönung vom Enkel eines ehemaligen Lehrlings von Oehler zu bekommen. Dieses hat die beschriebene Bahn. Der Korpus hatte lediglich eine Vorbohrung in der Stärke eines Bleistifts zum Befestigen auf einem Dorn. Der am Zapfen befindliche durchgehende Riss verursachte die Aussortierung. Der Lehrling holte es aus dem Abfall und nahm es an sich.
Geuser erzählte mir über Oehler: Er duzte jeden. Wer eine Klarinette von ihm haben wollte, dem sagte er: „So, du willst eine Klarinette von mir. Na, dann blas mal DAS“ und deutete auf ein Notenblatt an der Wand mit Orchesterstellen. Wenn ihm das Gehörte nicht gefiel, dann sagte er: „Komm im nächsten Jahr wieder“.
Oehler als Idol zeitgenössischer Klarinettenbauer zwischen den Kriegen:
An erster Stelle stehen dessen Landsleute im Vogtland, insbesondere die Manufaktur Friedrich Arthur Uebel, die bis nach Russland Berühmtheit erlangte. Hierfür entscheidend, war Rimsky Korsakov als Generalinspekteur der Konservatorien und der Militärorchester.
Der polnische Klarinettenbauer Warschewsky, entwickelte durch Modifizieren der Bohrung der Uebel-Klarinetten, eine besondere klangliche Handschrift, die in ihrer Individualität Oehler gleichzukommen versuchte.
Im Sinne der Einmaligkeit nehmen die Uebel-Max-Schnabel-Klarinetten der Manufaktur in Markneukirchen, ebenfalls einen besonderen Platz ein. Noch heute wird im Musikwinkel, die durch seinen Tod entstandene Lücke betrauert.
Außerhalb des Musikwinkels (dazu mehr in einem anderen Abschnitt) erlangte vor allem Gustav Mollenhauer, Kassel in den 20er und 30er Jahren internationale Bekanntheit, in den Vereinigten Staaten zum Beispiel. Nach 10-jährigem Aufenthalt in London, dort französische Klarinetten mitbauend, gründete er seine Manufaktur, die im Zweiten Weltkrieg bis auf die Grundmauern abbrannte. Als der sogenannte „billigere Oehler“ baute er für kleinere Kulturorchester und Militärorchester. Im norddeutschen Raum wurde Richard Müller, Bremen sehr geschätzt.
In die Betrachtungen zum deutschen Klarinettenbau vor dem Ersten Weltkrieg und zwischen den Kriegen sind natürlich auch die Anforderungen in den Solowerken, für Klarinette und im Sinfonie- u. Opernorchester zu bedenken.
Der „eiserne Bestand“: MOZART, Konzert K.V. 622, Quintett K.V. 581, BEETHOVEN, 9 Sinfonien, Fidelio, Septett, Gassenhauer-Trio op.11, SCHUBERT, Die Unvollendete, Oktett, Der Hirt auf dem Felsen, BRAHMS, 4 Sinfonien, 4 Kammermusikwerke, WAGNER, Die Opern. Der „Paukenschlag“: RICHARD STRAUSS, Sinfonische Dichtungen und Opern.
Die sprunghaft höheren Anforderungen seiner Partituren, traf die Klarinettisten unerwartet. Richard Strauss, zog den Klang der hohen Lage der Klarinette dem der Flöte vor. Es galt nun die Klarinette ausspielen zu können, bis zum c““ in Kantilenen und Figurationen in allen Tonarten; zum Beispiel die Opern Guntram und Salome.
Geuser erzählte mir: Wenn Richard Strauss in der Oper unter den Linden dirigierte, bedankte er sich stets für die Stelle mit dem c““ das über mehrere Takte vom pp bis ff zu crescendieren ist, um dann in einem Arpeggio con brio auf das tiefe E hinabzustürzen.
Wenn Strauss zum ersten Mal in ein Opernhaus kam zum Dirigieren, sagte er oft in der ersten Probe zu den angespannten Musikern: „Meine Herr’n spieln’s net gar zu akkurat“.
Die Strauss-Opern insbesondere, bewirkten auf der Höhe des Ruhmes von Oehler, ein atmosphärisches Zusammengehen von Klarinettisten und zu Oehler auf Distanz gehenden Klarinettenbauern. Das schrankenlose Einbeziehen der hohen Lage durch Strauss, markiert den Beginn einer neuen Phase im Klarinettenbau; Klang, Intonation und Spielbarkeit bekommen einen neuen Akzent, der nicht zu den klarinettistischen Erfahrungen Oehlers gehörte, aus Altersgründen.
Die von Louis Spohr komponierten 4 Konzerte für den Klarinettisten Hermstedt in der Frühromantik, in denen der Solist öfter bis zum b“‘ und h“‘, in Nr. 2 dreimal bis zum c““ sich aufschwingen muss in Akkorden und Tonleitern, waren nach Hermstedts Tod aus der Mode gekommen; galten als exklusive Werke für einen bestimmten Solisten, der außer Heinrich Baermann keinen Rivalen hatte.
Der Klarinettenbauer Louis Kolbe, Altenburg und der Klarinetten-Sänger Heinrich Geuser:
In diesem Abschnitt kombiniere ich Konzerteindrücke mit Geuser, seine Schallplatten-Produktionen und meine 40-jährige Erfahrung mit Kolbe-Klarinetten, die mir Geuser im Studium verkaufte.
Tondokumente auf Kolbe-Klarinetten in originaler tiefer Stimmung a’= 440 hz: Geuser hat richtungweisende Interpretationen der Quintette mit Streichquartett hinterlassen: Mozart, Weber, Brahms und Reger. Des Weiteren das Grand Duo von Weber mit Gerald Moore, dem legendären englischen Liedbegleiter; Schubert, Der Hirt auf dem Felsen, Louis Spohr, 6 deutsche Lieder Mozarts, Konzert von 1958.
Auf YouTube ist derzeit eine Zunahme von Aufnahmen mit ihm zu verzeichnen.
Geuser sagte zu mir, als er mich am Gartentor seines Hauses in Lankwitz/ Berlin verabschiedete, nach Übergabe des Betrages für die Klarinetten: „Die Aufnahmen habe ich nicht des Geldes wegen gemacht, sondern um der Nachwelt zu erhalten, wie man deutsche Klarinette bläst.“ Der Tonfall seiner Worte war dezent, aber ich spürte die unausgesprochene Botschaft: Ich bin das „Alfa-Tier“. Unabhängig davon: Die Individualität des Klarinettenklangs entspricht wahrlich einer Gesangsstimme, unwiederholbar.
Wenn heute jemand sagt, man solle Geuser auch nicht überschätzen, so möchte ich mit einem Zitat aus der Violinschule von Carl Flesch antworten: Die Virtuosen können untereinander das Vibrato des anderen nicht ertragen.
Empfehlenswert zu bedenken scheint mir auch: Geuser wurde mit 20 Jahren Solo-Klarinettist an der Oper unter den Linden, nachdem er Rodolf Gall in der Endrunde übertraf. Dieser wurde dann Solist des Concertgebouw Amsterdam unter Willem Mengelberg.
Geuser sagte mir über die erste Zeit an der Oper: Man fuhr voller Beklemmungen mit der Straßenbahn in die Oper und verließ sie total begeistert. In anderen Worten: Die Oper selbst charismatisch, der Dirigent eine namhafte Größe und die Gesangssolisten internationale Stars.
Dass der junge ehrgeizige Klarinettist, sozusagen berauscht von den einmaligen Gesangsstimmen, die er gerade begleitet hatte, das starke Bedürfnis empfand, genauso unverwechselbar auf der Klarinette zu klingen, konnte ich dem über 80-Jährigen noch anmerken.
Geuser hatte bei aller Beredsamkeit auch eine ausgeprägte Seite des Verschweigens. Dazu gehörte, dass er mir gegenüber nicht ein kritisches Wort über Oehler sagte, de facto aber durch das ausschließliche Spielen von Kolbe-Klarinetten und Mundstücken Oehler im Ende ablehnte, sich offensichtlich behindert fühlte in der Entfaltung seiner künstlerischen Persönlichkeit.
Mein erster persönlicher Eindruck von Kolbe, Altenburg war die A-Klarinette. Unvergesslich ist mir das Gefühl des freien Fließens des Atemstroms: das lange h’ so frei wie das leere g‘, also wie in einen Raum treten, der die Sommerluft des Gartens durch die offenen Fenster und Türen ungehindert zirkulieren lässt. Das war ein völliger Gegensatz zu meinen Übel-Klarinetten aus den 60er Jahren. Hinzu kam das geradezu Gewichtslos-Sein und das tiefe E, das wie von einem Bassetthorn zu sein schien. Ich war sage und schreibe sprachlos vor Begeisterung. Geuser sagte nur „Ja, ja er hat’s gleich gemerkt“.
Die Sängerin Erna Berger sagte: Wenn Geuser den Anfang im „Hirt auf dem Felsen“ blies, wusste man gar nicht wie man singen sollte.
Wie eine Paraphrase hierzu: Bei einem Rezital in Berlin 1964 kam die Sonate „Vor den Spiegeln“ (Geuser gewidmet) mit der Komponistin Grete von Zieritz am Flügel (Kammerton a’=440 hz) zur Aufführung. Ich war überzeugt, dass Geuser eine A-Klarinette spielte und unterließ es daher, mich durch Fragen zu vergewissern. Wie erstaunt war ich, als ich in den Noten las, Klarinette in B.
Die Bauweise der Louis Kolbe, Altenburg Klarinette im Vergleich zur letzten Entwicklung der Oehler-Klarinette, nach augenfälligen Gesichtspunkten:
Das OBERSTÜCK: bei Kolbe deutlich länger als bei Oehler
Das UNTERSTÜCK: bei Oehler länger als bei Kolbe
Der Übergang in den Becher: die konische Erweiterung im Unterstück, ist bei Kolbe länger und größer und begünstigt die Ansprache im 3. Register.
Der BECHER hat mehr Volumen als bei Oehler und ist dünnwandiger.
Kolbe-Klarinetten haben eine dünne Lackversiegelung der Bohrung, deren Zusammensetzung, ähnlich dem Geigenbau in Cremona, Herstellergeheimnis blieb. Kolbe verwendete auch das weitporigere sogenannte Königsgrenadill, öfter bei A- als bei B-Klarinetten.
Bei Kolbe, Oehler, Mollenhauer und anderen sind in den 20er- u. 30er Jahren die Schächte der offenen Tonlöcher aus dem Korpus gedrechselt. Zusammen mit dem tiefen Kammerton, fördert das die Sonorität.
Die 15,1 mm Bohrung, natürlich mit individuellen Modifizierungen, war allgemein üblich.
Kolbe baute ohne Deckelmechanik; die tief fis/cis „- Mechanik für den linken kleinen Finger, ist bei Kolbe nicht abstellbar.
Hier noch als Anhang die Geschichte eines Klarinetten-Raubes:
In den 70er Jahren wurden Geuser während einer Ferienreise alle 5 Sätze Kolbe, Altenburg (also 5 in A und 5 in B) aus dem Haus in Lankwitz gestohlen. Diese sind bis heute verschollen. Eine besondere Charakteristik der originalen Geuser- Kolbe ist die stärker gearbeitete Mechanik als gewöhnlich; Kolbe berücksichtige stets den Handbau.
Geuser sagte mir dazu in Bayreuth, nachdem er tief getroffen Berlin verlassen hatte: Meine Kolbe-Mundstücke fand man nicht. Ich hatte sie hinter den Heizungsrohren versteckt.
Ich bitte diese Information als Aufruf zu verstehen: Wer auch immer zum Wiederauftauchen dieser so wertvollen Instrumente beitragen kann, möge dies nicht verweigern. Sofern die Instrumente noch in Deutschland sein sollten, ist ja eine juristische Spätfolge wegen Verjährung nicht zu befürchten. Ich nehme mir die Freiheit in den Raum zu stellen: Die Klarinetten könnten in Japan sein. Warum? Ebenfalls in den 70er Jahren bekam Herbert Wurlitzer ein unerhört komfortables Angebot aus Japan zur Ausbildung der dortigen Klarinettenbauer. Er sagte mir dazu; Ich werde mir doch dort nicht meine eigene Konkurrenz heranzüchten.
Die Schmidt-Kolbe Klarinette und der Klarinetten-Sänger Rudolf Gall:
Rudolf Gall war Soloklarinettist des Concertgebouw in Amsterdam unter Willem Mengelberg und machte dieses Klarinettensystem wahrlich berühmt.
TONDOKUMENTE: Den ersten Eindruck der Klangpoesie von Gall verdanke ich dem Bayerischen Rundfunk, der in den 50er Jahren eine Produktion des Klarinetten-Quintetts von Johannes Brahms ausstrahlte. Der Eindruck des Adagios vor allem, machte auf mich als 16-Jährigen (der sich auch schon daran versuchte) einen wahrhaft gewaltigen Eindruck. Dieses Elektrisiert-Sein, erlebte ich viel später noch einmal beim Hören einer CD mit den Sinfonien Nr. 4 und 6 von Beethoven, in denen der junge Solist 1948 live unter Mengelberg in Amsterdam die Soli interpretierte, die bis heute nicht ihres gleichen gefunden haben. Es ist mir sozusagen ein Hunger geblieben, nach mehr aus seinen jungen Jahren.
Während des Studiums erwähnte Geuser mehrmals die Geschichte mit dem „Einspringen Hals über Kopf“ für den indisponierten früheren Mitbewerber, anlässlich einer repräsentativen Aufführung in München des „Hirt auf dem Felsen“. Der Klang seiner Worte, verriet mehr als er wahrscheinlich sagen wollte, an die Studentenrunde. Zu „greifen“ war die Autohypnose des Hochseilakrobaten. Und doch konnte ich in seinen Augen lesen: Er bewunderte heimlich den Klangpoeten Gall, dessen Tiefe der Empfindungsfähigkeit ihn sehr irritierte wegen der Unberechenbarkeit.
Die Erinnerung an den phänomenalen Klarinetten-Sänger Gall, war in den 70er Jahren in den Niederlanden noch so lebendig, dass zu seinem Andenken das Schmidt-Kolbe System noch in Gebrauch war. Hier beziehe ich mich auf meine Eindrücke bei einem Meisterkurs mit Jaques Lanzelot, für die Debussy-Rhapsodie in der Eduard van Beinum Stiftung, Breukelen bei Amsterdam.
Die Aufnahme des Mozart-Konzertes mit Bram de Wilde, Eduard van Beinum und Concertgebouw in den 70er Jahren ist möglicherweise das letzte repräsentative Tondokument zur Gall-Tradition.
Zur BAUWEISE der Schmidt-Kolbe Klarinette:
Der Klarinettist Schmidt in Mannheim, entwickelte sein deutsches System in Zusammenarbeit mit einem Wissenschaftler der Akustik. Er verstand seine Klarinette als praktische Kritik an Oehler. Er monierte: Das Tonloch für b‘ GLEICHZEITIG zum Überblasen zu benutzen, widerspreche den akustischen Gesetzen. Die Objektivität dieser Feststellung ist unbestreitbar.
Seine Klarinette, hat daher ein höher liegendes engeres Tonloch für das Überblasen. Durch eine Mechanik öffnet oder schließt sich automatisch die b-Hülse oder die Überblashülse.
Diese Klarinette hat als einzige deutsche aus der Zeit zwischen den Kriegen daher ein leicht ansprechendes, einwandfrei intonierendes 3. Register bei allen Griffvarianten. Das Trennen der Tonlöcher für b‘ und zum Überblasen erlaubt auch einen engen Konus am Übergang in den Becher zum Vorteil des tiefen e und f, ohne nachteilige Folgen für das hohe Register.
Vom französischen System übernommen ist der h/fis“-Griff für den rechten Mittelfinger, sowie dessen Variante b/f“ mit dem rechten Zeigefinger und der Klappe für den rechten Ringfinger.
Diese Bauweise hat auch eine Resonanz-Mechanik für das Gabel-f mit dem linken Mittelfinger. Serienmäßig auch eine Mechanik für den rein klingenden h/cis‘ und fis“/gis“-Triller (die sogenannte geteilte cis’/gis“ Klappe).
Die meisten noch erhaltenen Schmidt-Kolbe Klarinetten sind in Wirklichkeit Schmidt-Fritz Wurlitzer Klarinetten. Nach dem Scheitern des ursprünglichen Duos, ersetzte er Kolbe und erntete viel Lob für die meisterhaft gefertigte kniffelige Mechanik.
Schmidt-Kolbe-Klarinette von Fritz Wurlitzer
Die Mundstücke haben, wie bei der französischen Klarinette, eine zylindrische Bohrung, bis zu 5,7 mm. Bei allen anderen deutschen Bauweisen bis heute ist die Bohrung zylindrisch, am Zapfen höchstens 5,4 mm.
In diesen geographischen Begriff beziehe ich auch das Gebiet jenseits des südlichsten Zipfels von Sachsen ein.
In der Zeit der Donau-Monarchie gelangte man hier nach Böhmen. Durch die Vielzahl mineralischer Quellen, kam es sozusagen auf dem Reißbrett zum Entwurf von Badeorten, mit großen herrschaftlichen Parkanlagen für die Sommerkuren der österreichischen Aristokratie. Auch die imposante Sommerresidenz des Fürsten Metternich befindet sich hier. Seit einigen Jahren, vollständig renoviert, dem Publikumsverkehr zugänglich.
Nach dem Grenzübergang bei Bad Brambach mit Radon-Quellen, erreicht man zunächst Franzensbad. Es folgen die heute wieder im alten Glanz erstrahlenden, in Romanen, Biographien et cetera verewigten Bäder Marienbad und Karlsbad. Im Sommer bietet das schmucke kleine Theater in Marienbad wieder Vorstellungen an. Natürlich gibt es auch wieder Kurorchester. Alles in allem ein Eldorado für Nostalgiker, Ältere die sich verlieben wollen.
In der Hochblühte des aristokratischen Ambiente gab die Anwesenheit von Orchestern zum Hören und Tanzen, der Auftritt gefeierter Stars et cetera der Ansiedelung von Instrumentenbauern jenseits und diesseits der Grenze, weiteren Auftrieb.
Markneukirchen und Graslitz wurden in Deutschland und Österreich, innovative Zentren des Instrumentenbaus für traditionsreiche europäische Instrumente, einschließlich aller Arten von Zubehör.
Die weltweit führende Saitenindustrie in Markneukirchen, veranlasste die Vereinigten Staaten zum Gründen eines Konsulats in Markneukirchen. Die Villa „Paulus-Schlössl“ gibt Zeugnis davon.
Mit diesen Zeilen möchte ich lediglich Interesse wecken für eine in Europa einmalige „Handwerkerkultur“, der Markneukirchen alljährlich im Sommer ein Fest widmet. Der 2. Weltkrieg hatte mit „ehener Kralle“ seine zerstörende Handschrift hinterlassen.
Der Abschnitt über Die WIENER KLARINETTE ist nur nährungsweise zum Hauptthema passend. Meine mehrjährige praktische Erfahrung mit Hammerschmidt-Klarinetten, lässt mir aber Raum für gewisse Rückschlüsse auf den Entwicklungsgang dieser deutschen Bauweise.
Die Protagonisten der Entwicklung sind Kaktan und Hammerschmidt. Letzterer gehört zu einer „Dynastie“, die in Graslitz mit Carl Hammerschmidt ihren Anfang nahm.
Der Schlüsselbegriff zum Entwicklungskonzept Kaktan-Hammerschmidt ist die BOHRUNG.
Der historische und kulturelle Gegensatz des „preußischen Berlin“ und der „Balkanhauptstadt“ Wien ist in Operetten und Lustspiele eingegangen, zum Beispiel.
Geuser sagte mir: Wenn wir mit der Oper unter den Linden in Wien waren, sagten die Wiener Kollegen: „Ach die Deutschen mit ihren C-Klarinetten“.
Ein dunkeltöniger Klarinettenklang, der die Mischfähigkeit mit Streichern in der Kammermusik an die erste Stelle setzt, hat in Wien eine lange Tradition. Kaktan kam offensichtlich zu dem Schluss, dass die besten Erfolgsaussichten in einer bisher nie versuchten großen Bohrung gefunden werden könnten.
Zur technischen Umsetzung waren daher wesentlich dickwandigere Ober- u. Unterstücke erforderlich.
Dadurch entstanden bei Instrumenten mit Bohrungen von 15,3 oder 15,4 mm zum Beispiel, tiefe Tonlochschächte, insbesondere im Oberstück. Beim Unterstück wurde, wahrscheinlich dem französischen Beispiel folgend, die traditionelle Länge und Weite des Konus beträchtlich überschritten, nach Maßgabe der Spielbarkeit des 3. Registers bei so großen Bohrungen.
Eine Vermutung: Am Beginn der akustischen Erforschung auf diesem so neuen Weg, könnte Kaktan überrascht gewesen sein, als er feststellte, dass bei so tiefen Tonlochschächten das seit dem Mittelalter angewandte „Unterschneiden“ (Erweitern des Tonlochs am Eintritt in die Bohrung zur Rauschbefreiung des Klanges), die Ansprache zum Verschwinden bringt. Stattdessen muss das Tonloch von oben erweitert werden, was sogar eine Vereinfachung des Bauens ergibt. Das Oberstück bedarf hier besonderer Beachtung.
Tondokumente mit Leopold Vlach Wiener Philharmoniker, Bruno Walter, Karl Boehm u.a.in Sinfonien und Opern W.A. Mozart: Klarinettenkonzert Kammermusik; Brahms-Quintett, Schubert Oktett, live, Hans Pfitzner Sextett.
1. Die offenen Tonlöcher für die Ringfinger, sind nach anatomischen Gesichtspunkten versetzt angeordnet.
2. Von der französischen Klarinette wurde die Kopplung der a‘ und gis’-Klappe übernommen zur Resonanzverbesserung des b‘; zusätzlich gibt es eine b-Klappe für den rechten Zeigefinger, die auch als erste Trillerklappe dient. Der Klang dieses Griffs als b’ ist freier als der Hauptgriff.
3. Auf der A- u. B-Klarinette wird die gleiche Birne verwendet, wie auch üblich bei der französischen Klarinette. Aus Gründen der Ansprache, ist bei der A-Klarinette der Zapfen für die Birne ein Millimeter kürzer als bei der Klarinette in B. Die Wiener Klarinette ist insgesamt nahezu unempfindlich, in der Ansprache beim Ausziehen aller Teile zum Einstimmen.
4. Das e‘ hat eine Resonanzmechanik zur Anhebung der Stimmung; insbesondere für sehr große Bohrungen erforderlich.
5. Das SpielgefühI der Wiener B-Klarinette ist „weicher“ als bei der deutschen.
6. Die Premiere Rhapsodie von Claude Debussy oder das Konzert Nr. 2 von C. M. v. Weber, zum Beispiel, profitieren von der insgesamt größeren Flexibilität der Wiener Klarinette mit dem Wiener Reform-Mundstück und dem Blatt im Wiener Schnitt.
7. Bei der Wiener Spielweise entfällt bei cis’’’-d’’’ – dis’’’und e’’’ die es’’-Klappe, das f’ mit dem rechten Zeigefinger ergibt ein stimmendes c’’’, im 3. Register klingen die „kurzen“ Griffe (weniger Finger) nahezu identisch mit den Hauptgriffen.
8. Leopold Vlach, Solist der Wiener Philharmoniker, entwickelte eine lange Mundstückbahn die mit stark im Holz gehaltenen Blättern aber moderatem Ansatzdruck, auch im 3. Register gespielt werden kann. Diese „Nuller-Bahn“ wurde zur noch längeren Wiener Reform-Bahn weiterentwickelt, um den dunkeltönigen Klang zu optimieren.
Bei der Wiener Klarinette von Frank Hammerschmidt, ist der Bereich des Oberstücks am Zapfen für die Birne deutlich kürzer als beim Oehlersystem. Somit befindet sich die b1-Hülse an fast derselben Stelle der Hülse der b-Mechanik des Oehlersystems, die einen Durchmesser des Zylinders von 2,8 mm hat. Dieser ist günstiger für die Ansprache des zweiten und dritten Registers. So habe ich die traditionelle b-Hülse (3,0 mm), mit einer von 2,8 mm ausgetauscht. Das positive Ergebnis wurde mit der Premiere Rhapsodie von Claude Debussy dokumentiert.
Resonanzhilfe für das b1, hat die Wiener Bauweise durch das Koppeln der a1 und der gis1-Klappe, da die Tonlöcher sich nahe bei der b1 Hülse befinden. Vorteilhaft für die Resonanz ist auch, dass das sehr dickwandige Oberstück mit sehr langen Tonlochschächten nach oben geweitet ist, also nicht unterschnitten.
Die Aufnahme der Rhapsodie ist als Study-Version auf YouTube zu finden. Um die Vorteile eines der Flöte nahekommenden Klangbildes der Kantilenen im dritten Register zu verwirklichen, spiele ich auf der Klarinette in A. Die Stellen mit einem sehr intensiv zu spielenden b1 erfordern natürlich nun einen höheren Atemdruck. In meiner Vorstellung gemäß dem h1 der Wiener Bauweise von Frank Hammerschmidt.
Bleibt die Frage, ob die Wiederbelebung der Klarinettenkultur zwischen den Kriegen auf originalen Instrumenten möglich ist!
Zu Ende der 40er- u. in den 50er Jahren, entstand in Westdeutschland eine unverabredete gesellschaftliche Übereinkunft, eine Initialzündung zur Verarbeitung der desaströsen Erinnerungen bei Opfern, sogenannten „Mitläufern“ aller Schattierungen und abgetauchten Tätern et cetera: Wir stürzen uns in den Wiederaufbau. Man kann auch sagen: Die Überlebenden favorisierten eine Vergessenskultur, die zusätzliche Nahrung erhielt durch den Marshall-Plan der Vereinigten Staaten. Die neuen Politiker „witterten Morgenluft“ und setzten sich mit der Erfindung des Schlagwortes „Wirtschaftswunder“ an die Spitze.
In der Musikszene formierte sich als „I-Tüpfelchen“ des Wunders zu Beginn der 60er Jahre die magische Symbiose „Karajan und die Berliner Philharmoniker“. Man fieberte (ich eingeschlossen) jeder neuen Grammophon-Platte mit einer weiteren Beethoven Sinfonie, zum Beispiel, entgegen.
Was war nun das Neue dieser Interpretation gegenüber Furtwängler? Es war vor allem der brillantere Orchesterklang, durch das Anheben des Kammertons a’= 440 auf 443/444 hz.
Dem Zeitgeist und dem Vorbild Arthur Nikisch folgend (wie bereits geschildert), wählte Karajan eine zusätzliche technische Strategie des Vergessenmachen-Wollens, da er sich ja nicht sicher sein konnte, ob er Furtwängler allein auf interpretatorischem Wege überflügeln könne.
Geuser sagte mir: Der jüngere Karajan zwischen den Kriegen bekannte: Die Interpretation der Schubert’schen Unvollendeten von Furtwängler traumatisiere ihn derart, dass er nicht den Mut habe, diese zu dirigieren.
Zurückkehrend zur Klarinette:
Das Vorbild in Westberlin erzeugte eine Kettenreaktion, die alle Orchester im Westen erfasste.
Die bis dahin in der Regel ehrenvoll behandelten Klarinetten, wurden im Orchesteralltag zum Hindernis durch die tiefe Stimmung; sie wurden ihrer kulturellen Aura beraubt.
Die nun schon älteren Bläser, in den Spitzenorchestern oft an die 2. Position gerückten ehemaligen Solisten, führten sozusagen reihenweise ihre Oehler-, Uebel-, Kolbe-Klarinetten et cetera zur „Schlachtbank“ und ließen die Birnen abdrehen, obwohl sie um die unumkehrbare Klang-Verstümmelung wussten.
Die Birne, dieser kleine auswechselbare Teil der Klarinette zur Feinregulierung der Stimmung, ist ein akustisch hochsensibler-Bestandteil der Klarinette, da so nahe am Mundstück. Eine neue Birne in originaler Länge stabilisiert zwar in der Regel die Intonation, bietet aber keine Chance zum Wiedergewinnen des einstmaligen Klanges. So erstaunlich es ist, der so geringe Prozentsatz an neuem Holz wird vom sonst originalen Instrument entschieden zurückgewiesen.
Ein Klarinettenbauer im Musikwinkel sagte mir: Bei einem Nachbau sollte die frühere Fertigungstechnik angewendet werden für die Bohrung. Ich fügte hinzu: und der Mond muss zunehmend sein. Wir haben uns heiter gestimmt voneinander verabschiedet.
EIGENVERSUCH der Wiederbelebung einer Klarinette aus der Zeit zwischen den Kriegen.
Tondokumente: Google Dieter Kühr Klarinette, Louis Spohr Konzerte Nr. 3 und 4 komplett. Allegro Nr.2, Hörempfehlung: Nr. 4 erster Satz, Nr.3 letzter Satz
Das INSTRUMENT: Gustav Mollenhauer, Kassel Seriennummer 30 485, 20er Jahre, in allen Teilen Original, a’= 440
Oehler-System mit Deckelmechanik und tief e-Regulierung
Charakteristiken; sehr gute Luftannahme und einwandfreie Intonation in allen Registern, also widerstandfreier als Oehler, im SpielgefühI Kolbe, Altenburg ähnlich
Die Birne ist 59,0 mm lang und hat am Herz für das Mundstück einen Metalleinsatz zum Vermeiden von Materialschwund durch auswischen.
Die Tondokumentation machte ich 2015/16. Da wir ja nicht wirklich in der Zeit zurückgehen können, spielte ich ein modernes Acryl-Mundstück mit der Wiener Reform-Bahn nach Peter Schmidl, gefertigt von Johannes Gleichweit, Wien und Wiener Blättern von Peter Leuthner.
Klarinette Spohr/ Debussy Louis Spohr Konzerte 3 und 4, Allegro aus Nr. 2, sowie Claude Debussy Premiere Rhapsodie, aufgenommen 2015/2016 74ig jährig, gespielt auf einer Gustav Mollenhauer Klarinette, Cassel 1922
Mit Beginn des sechsten Lebensjahrzehnts, bemerkte ich im 3. Register erste Anzeichen, der für das Oehler Konzept typischen Alters-Helle. So regte mich der Wiener Klarinettenklang, zu einem Versuch an.
Die Wiener Reform-Bahn: Die Bahnkurve beginnt vor dem Schnurrand, daher entfallen die Druckpunkte. Der tiefste Teil der Mulde befindet sich am Beginn der Auflage. Da diese stärker ausgeprägt ist als beim Oehler Konzept und das Wiener Blatt stärker im Holz gehalten ist, muss der Andruck des Blattes auf die Auflage mit einer Metallbindung erfolgen, anstatt einer Schnur oder einer Bindung aus vergleichbarem Material. Die beiden Schrauben sind zum Rücken des Korpus gerichtet. Das im Material dünn gehaltene Metallband, zum Vermeiden von Verspannung, passt sich flexibel jeder Form der Blattrinde an.
Das Ende, der im Verlauf zum Tisch hin flacher werdenden Mulde, geht über in die Wippe, die vor dem Schnurrand liegt. Diese ist je nach Bahnöffnung an der Spitze, unterschiedlich lang.
Der Ansatzdruck bei der Wiener Reform-Bahn, ist trotz des im Holz starken Blattes geringer, als beim Oehler-Konzept, insbesondere im 3. Register. Der Luftstrom muss stärker sein. Gleichzeitig ist der Ansatzdruck auf den Beginn des Ausstichs zu zentrieren. Bei der Wahl der Bahn und der Blattstärke, ist die Luftannahme ein entscheidendes Kriterium. Die Bohrung des Wiener Mundstücks beträgt am Zapfen 15,4 mm und ist am Übergang in die Kammer, ein 10/mm weiter, als bei der vergleichbaren größten Oehler-Bohrung. Es empfiehlt sich, beim Spielen der Wiener Reform-Bahn, auf dem deutschen System, die Wiener Bohrung beizubehalten.
Gründe: 1. Der Klang. 2. Materialbedingte Intonationsprobleme entstehen nicht, da der Wiener Korpus im Bereich der Bohrung, zum Ausgleich für das größere Volumen, gegenüber dem engeren modernen deutschen Mundstück, 1,5 mm kürzer ist. Der Schnabelbereich ist bei beiden Formen gleich lang. Der Schnabelrücken des Wiener Mundstücks, geht in einem flacheren Winkel in den Korpus über, um ein angenehmes Ansatzgefühl zu gewährleisten bei langen Bahnen.
Akustische Beobachtungen:
Die Auflage der Wiener Reform-Bahn, hat durch die Mulde und die Wippe zwei Zentren, die das Blatt in Spannung versetzen. Das Hauptzentrum am unteren Ende der Auflage, ist weit entfernt vom Ansatzbereich. Daher subjektiv neutral wirkend, obwohl de facto entscheidend für das Schwingen des Blattes. Die Wippe dient dem individuellen Formen des Klanges.
Die große Länge und der flache Verlauf der Bahnkurve, kombiniert mit dem im Holz starken Blatt, ermöglicht schon bei einer Bahnöffnung von 0,71 mm alle Nuancen vom pp bis zum ff. Vergleichbares gilt auch für das Artikulieren, inklusive Staccato.
Im dritten Register klingen die kurzen Griffe so gut wie identisch, mit den langen Griffen.
Beim Kombinieren des Wiener Mundstück-Blatt-Konzepts mit der deutschen Klarinette, entfällt (wie bei der Wiener Klarinette) die Es-Klappe bei: d“‘-dis“‘ und e“‘. Das f‘ mit dem rechten Zeigefinger ergibt ein reines c“‘.
Beim Ausziehen der Birne, wirkt sich der entstehende Hohlraum so gut wie nicht auf das Spielgefühl aus.
In den eingangs erwähnten Youtube-Aufnahmen, habe ich im Begleittext meine Kombination Wien-Deutsch detailliert angegeben. Diese Aufnahmen wären mir ohne, die so einzigartige Verknüpfung von Fertigungsqualität und künstlerischem Feingefühl von Johannes Gleichweit, der auch Solist im ORF Orchester ist, nicht möglich gewesen. Dies gilt gleichermaßen für den Wiener Peter Leuthner.